Selten hat ein neues Staatsoberhaupt sowohl im eigenen Land als auch weltweit so viel Aufsehen erregt. Erwartungen und Ängste gehen dabei Hand in Hand und werden in den Medien intensiv diskutiert.
Argentinien, die drittgrößte Volkswirtschaft Lateinamerikas nach Brasilien und Mexiko, war einst ein wohlhabendes Land, auch im Hinblick auf das Einkommen seiner Bevölkerung. Doch heute gilt Argentinien als das einzige Land der modernen Wirtschaftsgeschichte, das aus dem Kreis der reichen Länder abgestiegen ist (Der Economist).
Ein ständiges Merkmal der argentinischen Politik war die Praxis, Probleme mit Geld zu „verdecken“. Wenn kein Geld mehr vorhanden war, wurde einfach neues gedruckt. Diese Politik führte zum wirtschaftlichen Niedergang des Landes, begleitet von Hyperinflation, Währungsverfall und Staatsbankrotten (Business Insider). Als Javier Milei vor einem Jahr das Amt des Präsidenten übernahm, war er mit einer Staatsverschuldung von mehr als 400 Milliarden US-Dollar konfrontiert.
Javier Milei, 1970 als Sohn eines Busfahrers geboren, ist ein bemerkenswerter Politiker und Ökonomieprofessor. Im politischen Spektrum wurde er von der linken Seite oft scharf kritisiert, was neben seinen „instabilen Temperament" und seinen sehr hohen Anforderungen gegenüber seinen Studenten zu seiner Entlassung aus dem Universitätsdienst führte. Bekannt als „El Loco“ – der Verrückte – stimmte Milei die Argentinier im Wahlkampf auf schwierige Zeiten ein und wurde trotz dieser düsteren Prognosen mit einer klaren Mehrheit von 56 Prozent gewählt.
Obwohl sein politisches Bündnis im Kongress nur 40 von 257 Sitzen innehat, hat er durch Kooperation mit Mitte-Rechts-Verbündeten und der Unterstützung unabhängiger Stimmen eine gewisse politische Handlungsfähigkeit erreicht.
Erste Firmen investieren mittlerweile wieder, ermutigt durch gesetzliche Erleichterungen.
Trotz einiger Opfer, die Teile der Gesellschaft erbringen müssen, bleibt ein Volksaufstand aus. Im Gegenteil, die Bevölkerung trägt die harten Maßnahmen mehrheitlich mit. Mileis Beliebtheit ist unter diesen Umständen überraschend hoch und verdeutlicht, dass die Wahrheit den Wählern zumutbar ist. Die Argentinier haben erkannt, dass nur ein radikaler Richtungswechsel den ständigen Niedergang ihres Landes stoppen kann.
1. Drastische Staatsreformen
Milei hat sich einer radikalen Reform des Staatsapparates verschrieben. Er hat neun Ministerien geschlossen und Tausende Beamte entlassen, was massive Auswirkungen auf die argentinische Wirtschaft hatte. Innerhalb weniger Tage nach seinem Amtsantritt setzte Milei per Präsidialdekret die Schließung der Hälfte der 18 Ministerien des Landes durch. Etwa 25.000 Angestellte des öffentlichen Dienstes wurden entlassen, und weitere 75.000 Entlassungen sind geplant. Zudem kürzte er das argentinische Äquivalent der Sozialversicherung um schätzungsweise ein Drittel, strich Infrastrukturprojekte und fror die Budgets der verbleibenden Ministerien ein. Diese Maßnahmen waren Teil seines radikalen Plans, das Land wirtschaftlich zu stabilisieren und von der Bürokratie zu befreien.
2. Reform der Gesetzgebung
In Bezug auf die Gesetzgebung hat Federico Sturzenegger, Mileis Deregulierungsminister, die rund 4200 Gesetze des Landes in drei Kategorien eingeteilt: streichen, ändern und behalten. Etwa 15 Prozent der Gesetze sollen abgeschafft und weitere 15 Prozent geändert werden.
3. Erfolge auf den Energiemärkten
Mileis Reformen haben auch Auswirkungen auf den Energiesektor. Argentinien hat den Energiemärkten freien Lauf gelassen, was zu einem Boom im Süden des Landes geführt hat, besonders im Fracking-Bereich. Die Formation „Vaca Muerta“ (Tote Kuh), die sich über vier Provinzen erstreckt und etwa so groß wie Belgien ist, hat das Potenzial, Gas zu produzieren, das auch nach Deutschland exportiert werden soll. Im Norden des Landes hoffen (ausländische) Investoren auf Kupfer- und Lithiumgewinne, was ebenfalls als ein positiver wirtschaftlicher Impuls betrachtet wird.
4. Linderung des Wohnungsnotstands
Auch der Wohnungsmarkt hat mittels Deregulierung eine bemerkenswerte Transformation erfahren. Vor der Reform hielten Eigentümer ihre Immobilien vom Mietmarkt fern, da die stark regulierten Mietkonditionen unattraktiv waren. Diese Verknappung des Angebots führte zu hohen Mieten. Mit seinem Dekret erwirkte Milei, dass Vermieter nun die Laufzeit und Währung ihrer Mietverträge frei wählen dürfen. Neben dem Wohnungsmarkt hat die Regierung unter Milei auch den Bus- und Flugverkehr dereguliert. Staatliche Gesundheitsanbieter sind inzwischen verpflichtet, auch günstigere Generika anzubieten. Die Regierung verfolgt das Ziel, Günstlingswirtschaft, Zwischenhändler und Zölle, die Innovation und Wettbewerb hemmen, weiter abzubauen.
5. Stopp der Hyperinflation und Investitionsschutz
Die Entscheidung, die Staatsausgaben nicht länger durch die Notenpresse zu finanzieren, hat das Vertrauen der Bevölkerung und der Märkte gestärkt. Die Inflationserwartungen stabilisieren sich, und der Schwarzmarktkurs des Peso kommt dem offiziellen Kurs näher. Die monatliche Kerninflation, die volatile Komponenten wie Lebensmittel- und Energiepreise ausschließt, ist stetig gesunken und ging von 25 Prozent auf zuletzt 2,9 Prozent zurück. Diese Entwicklung signalisiert eine bemerkenswerte Stabilisierung der Wirtschaft. Die Inflation soll im Jahr 2025 im Jahresvergleich auf nur noch 18,3 Prozent sinken. Zum Vergleich: Im Jahr 2023 lag die Inflationsrate noch bei 236,7 Prozent. Deregulierungen und Investitionsschutzmaßnahmen zeigen ebenfalls ihre Wirkung in einer positiven Handelsbilanz: Im Oktober verzeichnete Argentinien einen Überschuss von 888 Millionen US-Dollar, was den elften Monat in Folge markiert, in dem dieser Trend anhält. Besonders in der Energiehandelsbilanz weist Argentinien einen Gewinn von 4,3 Milliarden Dollar auf – das beste Ergebnis seit 17 Jahren.
6. Hoffnung und Zuversicht
Die Aussichten für das argentinische Wirtschaftswachstum sind vielversprechend. Experten prognostizieren, dass das Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt in den nächsten zehn Jahren unter idealen Bedingungen um 50 Prozent wachsen könnte. Im nächsten und übernächsten Jahr wird ein jährliches Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von jeweils fünf Prozent erwartet, für 2027 sogar ein Wachstum von 5,5 Prozent. Diese Erwartungen verdeutlichen das Potenzial für eine langfristige wirtschaftliche Erholung und Stabilisierung des Landes.
Nach einem Jahr im Amt lässt sich feststellen, dass Argentinien nicht in Anarchie im weitverbreiteten irrtümlichen Sinne von Chaos, Gewalt und Rechtlosigkeit versunken ist. Trotz weitreichender Reformen, die vor allem die Finanzen, Märkte und Verwaltung betreffen, zeigt sich, dass Mileis Politik viele Elemente umfasst, die überraschenderweise auch der Internationale Währungsfonds (IWF) seit Jahrzehnten vertritt. Es geht um geordnete Finanzen, funktionierende Märkte und eine schlanke Verwaltung. Gute Voraussetzungen also für individuelle Freiheit, Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung, die eigentlichen Kerneigenschaften politischer Anarchie (Herrschaftslosigkeit).
Argentiniens Wirtschaft ist auch nach einem Jahr unter Milei noch stark reglementiert. Der Handel und Kapitalverkehr mit dem Ausland sind weiterhin erheblich eingeschränkt. Der Wechselkurs des Peso wird vom Staat festgelegt, und der Peso ist nach wie vor deutlich überbewertet. Milei hat jedoch angekündigt, diese wirtschaftlichen Fesseln schrittweise zu lösen.
Im Gegensatz zu den protektionistischen Maßnahmen von Trump, der ständig neue Zölle ankündigt, hat Milei beispielsweise die Importe von Nahrungsmitteln erleichtert, um die Preisstabilität zu gewährleisten.
Reformen im Finanzsektor
Das Finanzamt (AFIP) wird in seiner aktuellen Form aufgelöst, an seine Stelle tritt eine neue Zollbehörde, die die Erhebung und Kontrolle von Steuern und Abgaben übernehmen wird. Diese neue Behörde wird den Namen „Customs Collection and Control Agency“ (ARCA) tragen und soll eine vereinfachte Struktur bieten, um die Verwaltung effizienter zu gestalten.
Milei hat in Argentinien die Notwendigkeit erkannt, den übermächtigen Staatsapparat zu reduzieren, Steuern zu senken und das Wirtschaftsgeschehen stärker dem freien Markt zu überlassen. Seine Politik stellt den bisherigen sozialstaatlichen Kurs infrage und setzt auf Eigenverantwortung und marktwirtschaftliche Prinzipien. Dieser Ansatz, der in Argentinien zu einer breiten Debatte geführt hat, ist für Deutschland ein bedeutender Impuls.
In einem Land, das traditionell von staatlichen Eingriffen und Umverteilung geprägt ist, könnte Mileis Erfolg einen Wendepunkt markieren und die Diskussion über die Rolle des Staates neu beleben. Insbesondere die steigende Unzufriedenheit mit den etablierten Systemen und die wachsende Erkenntnis, dass der Staat oft nicht die erhofften Lösungen bietet, eröffnen Raum für alternative Modelle auch in Deutschland
Insbesondere die zunehmende internationale Aufmerksamkeit die Mileis Politik inzwischen genießt, werden früher oder später auch das politische Denken in Deutschland verändern. Trotz der kritischen Berichterstattung in vielen Medien über Mileis radikale Reformen ist allein die Tatsache, dass er und seine Ideen in den Fokus geraten, ein erster Schritt in die richtige Richtung. Die Auseinandersetzung mit seiner Politik hat ein Umdenken angestoßen, das auch hierzulande nicht ohne Folgen bleiben dürfte.
Genau hier muss die Partei der Vernunft anknüpfen um nun verstärkt für eine marktwirtschaftliche Politik einzustehen, die den Staat auf das Wesentliche beschränkt und die Eigenverantwortung des Einzelnen fördert. Die zunehmende Aufmerksamkeit, die Argentinien zuteil wird, gibt uns die seltene Gelegenheit, die Prinzipien der Freiheit, Eigenverantwortung und Selbstbestimmung tiefer in den politischen Diskurs einzubringen. Wenn die Ideen von Milei in Argentinien Zustimmung finden, warum dann nicht auch in Deutschland? Jetzt gilt es, diese Chance zu nutzen, um ein politisches Umfeld zu schaffen, das individuelle Freiheit und Selbstbestimmung konsequent einfordert.